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Kai Friedrich Schade (kfs)

Diskurs(an)Stifter

Autor K. Friedrich Schade

„´Öffentlicher Diskurs zu Entwicklungspolitik´-
Ein Wagnis zwischen bürgergesellschaftlichem Anspruch und
Interessengeleitetem Zugriff von Nichtregierungsinstitutionen“

Dankesworte und Wissenschaftlicher Vortrag
aus Anlass der Verleihung einer Ehrendoktorwürde durch die
Universität Leipzig am 30.01.2008 in Leipzig

Sehr geehrter Herr Dekan, Professor Dr. Stiehler,
sehr geehrter Herr Professor Dr. Elsenhans,
sehr geehrter Herr Dr. Feldmann,
sehr geehrte Damen und Herren,
meine Frau, liebe Susanne,

 

ich freue mich sehr über die mir zuerkannte Ehrendoktorwürde. Meinen Dank an Sie, vor allem an den Initiator und Laudator Hartmut Elsenhans, formuliere ich mit einem Zitat einer Äußerung des Erzbischofs von Canterbury.

Er sprach nach einer Ehrung folgendes Gebet:

Herr,
vergib all denjenigen,
die  soeben falsch Zeugnis über mich abgelegt haben,
Herr,
vergib mir,
dass ich daran großen Gefallen gefunden habe!

 

Meine Damen und Herren,

Anforderungen an die deutsche Entwicklungspolitik im Lichte ihrer Veränderungen in den letzten vierzig Jahren bei zunehmender Globalisierung beschäftigen Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel reist zu ihrer politischen Orientierung nach Indien, das sich aus einem Entwicklungsland in eine asiatische Supermacht verwandelt. Die amtierende Entwicklungsministerin Heide-Marie Wieczorek-Zeul legt ihre „Erfahrungen und Begegnungen“ unter dem gewichtigen Titel „Welt bewegen“ vor. Der frühere, fast schon legendäre Entwicklungsminister Erhard Eppler attestiert ihr und damit der Bundesregierung, dass sie in diesem Politikfeld im 21. Jahrhundert angekommen seien.

Ich stelle nun die Frage:
Ist auch der öffentliche Diskurs zu diesem Politikbereich im 21. Jahrhundert angekommen, ein Diskurs, der für eine politisch emanzipierte, offene Gesellschaft unentbehrlich ist?

Ich beantworte die Frage, indem ich aufzeige, wie eine von mir später redaktionell geleitete entwicklungspolitische Zeitschrift zustande kam und wie sie zum Austragungsort sehr gegensätzlicher Interessen wurde. Dabei wird ein Konflikt zwischen bürgergesellschaftlichem Anspruch und widerstrebenden Interessen von Nichtregierungsorganisationen, die gerne als Zivilgesellschaft firmieren, im Mittelpunkt stehen.

1. Blick zurück auf die Ausgangslage

Berlin Juni 1967. Der Schah von Persien ist auf Staatsbesuch. Ein Vertreter schlimmer Oligarchien der Dritten Welt in Deutschlands Mitte zu Gast. Benno Ohnesorg wird dort bei einer Demonstration gegen den Imperialismus der Bundesrepublik von der Polizei erschossen.

In der Bundeshauptstadt Bonn wachsen Kräfte in Parlaments- und Regierungskreisen, die nach beachtlichen Schüben wirtschaftlichen Wiederaufbaus tief greifende innere Reformen für dringend erforderlich halten. Sie suchen nach Perspektiven für eine gedeihliche Zukunft einer deutschen demokratisch verfassten Gesellschaft.

Die erfreulich gewachsene internationale Bedeutung der Bundesrepublik ruft nach einer Neubestimmung auch der Außenbeziehungen. 1961 war das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das BMZ, gegründet worden. Erst 1993 erhält es den Zusatz: „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“. Die noch junge Entwicklungspolitik wird damals befragt, welche Rolle sie im größeren Zusammenhang politischen Strebens nach globaler Sicherheit und Wohlfahrt einzunehmen hätte.

Rebellierende Studenten fordern, die bislang unbewältigte NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie wollen Mut zur Ehrlichkeit und politische Moral als Säulen der Freiheit.

Die Politiker scheinen zu lange die Augen verschlossen zu haben vor zunehmender Verarmung in der Welt, vor den Sehnsüchten der Befreiungsbewegungen, vor ihrem Aufbegehren gegen immer noch bestehende koloniale Unterdrückung, vor weltweiter Aufrüstung und neuen imperialistischen Kriegen.

Der Vietnamkrieg mobilisiert immer mehr Menschen. Immer lauter werden die Rufe nach gesellschaftlichem Handeln, das den Idealen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kohärent Ausdruck verleihen müsse – im inneren Geschehen der Gesellschaft ebenso wie in ihrem Außenverhältnis, in ihren Beziehungen zu anderen Gesellschaften.

Bonn ist angesichts der studentischen Rebellion verunsichert. Macht diese doch das Verhältnis von Unterentwicklung des armen und abhängigen Südens zu den sich weiterhin imperial gebärdenden Großmächten zu einem großen Thema in Deutschland, ja extreme Kräfte in dieser Bewegung sehen nur in einer revolutionären Machtübernahme der eigenen Gesellschaft einen Weg zur Befreiung. In der Frage nach der Wahl der nächsten Schritte in den Beziehungen zur sogenannten Dritten Welt sieht sich die etablierte Politik herausgefordert.

2. Stimmen aus dem Süden

In meinem Blick zurück wechsele ich nun die Richtung vom Norden auf den Süden. Im Ökumenischen Rat der Kirchen – in dem Begriff Ökumene steckt das griechische Oikos, die Welt, weshalb wir im Deutschen von Weltrat der Kirchen sprechen – in dieser sogenannten Ökumene haben sich Christen aus Afrika, Asien und Lateinamerika mit Glaubensbrüdern und -schwestern aus dem Norden zusammengefunden. Hier haben auch die sonst Stummen, die Ärmsten der Armen, authentisch das Wort. Es sind die Leidenden und Betroffenen der Dritten Welt, es sind die Befreiungsbewegungen, die hier gehört werden, denen Stimme verliehen wird.

Sie fordern neue Nord-Süd-Beziehungen, eine gründliche Neubesinnung weit über die Schmalspur oder gar Irrweg des Transfers sogenannter Entwicklungshilfe hinaus.

Überdeutlich ist die Forderung nach einem anderen Wirtschaftsverhalten, nicht nur der transnationalen Konzerne, sondern des Nordens überhaupt, ob nun kapitalistischer oder sozialistischer Prägung. Transfer of power ist das Stichwort, eine Umkehr globaler Kräfteverhältnisse. Dies sei nicht ohne grundlegende Veränderungen auch der innergesellschaftlichen Strukturen in den reichen Ländern zu verwirklichen – vor allem in Richtung von mehr demokratischer Teilhabe und Solidarität.

Um dies seitens des Nordens realisieren zu können, bieten ihm diese Stimmen gar einen temporären Verzicht auf Entwicklungshilfe, ein Moratorium an. Dadurch sollten die Geberländer im Norden– nun ihrerseits vom Süden als konzeptionell und geistig arm bezeichnet –, sie sollten Zeit und Ressourcen finden, die für ihn erforderlich gehaltenen Reformprozesse zu kreieren und umzusetzen.

Ohne einen noch anzustoßenden, noch zu organisierenden Lernprozess im Norden werde es dort nicht – so die Position des Südens – zu Veränderungen im Sinne von Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden sowie Erhaltung der Schöpfung kommen. Notwendig sei ein in der Thematik unabhängiger und in der Kompetenz emanzipierter gesellschaftlicher Diskurs, der nicht zuletzt auch den Süden wahrheitsgetreu in den Blick nehme und seinen Stimmen Ausdruck gebe. Jürgen Habermas nennt das abstrakt ein Streben nach einem „wahrheitssensiblen Argumentationsverfahren“.

Ein derartiges Verfahren setze, so diese Stimmen aus der Dritten Welt, setze eine nachhaltige Diskussion auf breiter bürgergesellschaftlicher Basis voraus. Sie kann von dafür geeigneten Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit nur erfolgreich getragen werden, wenn sie sich dazu über ihre partikularen Interessen hinaus auf ein solch gemeinsames Vorhaben und Ziel verständigen.

Wenn ich im Folgenden immer wieder auf das Stichwort Bürgergesellschaft zurückkomme, so orientiere ich mich an dem oft normativ gebrauchten Begriff der Civil Society, wobei civil den Bürger meint, weshalb ich die Bezeichnung Bürgergesellschaft vorziehe. Zum Verständnis, was gemeint ist, brauche ich hier nicht auf Mahatma Gandhi zu verweisen, der heute vor 60 Jahren ermordet wurde. Ich befinde mich vielmehr in der Umgebung von Landsleuten, die – um nur zwei Jahresdaten zu nennen – die uns 1953 und 1989 sehr mutig bürgergesellschaftliches Handeln vorgelebt haben. Dies verleiht der Ehrung eines Bürgers aus den alten Bundesländern seitens der Universität Leipzig eine besondere Note, die ich zu schätzen weiß. -  Übrigens finden Sie alles Wesentliche zu unterschiedlichen Definitionen von Zivilgesellschaft in Hartmut Elsenhans` Publikation mit dem Titel „Das internationale System zwischen Zivilgesellschaft und Rente“.

Lassen Sie mich zurückkommen auf die nicht nur aus der Ökumene vorgetragenen Anforderungen an einen gesellschaftlichen Prozess der Umorientierung im Norden. Sie treffen sich mit den bereits angedeuteten Überlegungen in bundesdeutschen Regierungskreisen, die Außerparlamentarische Opposition, besser als APO bekannt, aus sich zuspitzender Konfrontation in die gesellschaftliche Willensbildung zurückzuführen. Sollte man ihr nicht in friedensstiftender Absicht die aufwertende Akzeptanz der Beteiligung an einem strukturierten Forum zum Diskurs der Rolle der deutschen Gesellschaft in der Nord-Süd - Konflikt - Konfiguration anbieten?

3. Jetzt komme ich ins Spiel

Als ich 1968 beginne, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu arbeiten, wird mir aufgetragen, vertraulich, sozusagen subversiv, eine Kontaktaufnahme mit der APO zu suchen. Heute würde man von einem Versuch aufsuchender Mediation sprechen, getragen von der Hoffnung, über eine kultivierte Kontroverse, über einen Dialog politisch - kreativen Frieden in Deutschland zu stiften.

Dieser schwierige Auftrag erregt allzu frühzeitig das Interesse des Bundesnachrichtendienstes, des BND. Wegen meiner zwar offiziös georderten, dem BND aber wohl nicht offiziell übermittelten Kommunikation mit verfassungsfeindlich eingestuften Personen fordert der Geheimdienst am letzten Tag meiner Probezeit eine Kündigung mit Hausverweis innerhalb von wenigen Stunden. In der mir verbleibenden Zeit, trotz des Verbots jeglichen Telefonats, gelingt es mir, Erhard Eppler, den gerade neu berufenen, im Bundestag weilenden Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, zu unterrichten. Mein Fall wird zu seiner ersten Amtshandlung. Mit Bundeskanzler Willy Brandt im Rücken erteilt er dem BND eine Abfuhr, der übrigens auch Eppler die Auskunft über die Gründe der Intervention  immer verweigert hat.

Ich bleibe im Ministerium und finde in dem sogenannten Montagskreis, einem informellen, sich regelmäßig treffenden Kreis, Gleichgesinnte, im Reformansatz radikal, in der Wahl der Mittel eher moderat. Als Teil einer breiteren Bereitschaft zum „Marsch durch die Institutionen“ – Sie kennen den Slogan - tragen wir bei zu einer neuen entwicklungspolitischen Konzeption, vorgestellt von Minister Eppler in einem Aufsehen erregenden großen Beitrag in der „Zeit“ unter dem Titel „Generalformel zur Entwicklungspolitik“.

Bundeskanzler Willy Brandt macht sich Thesen daraus in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zu Eigen. In der Politikwissenschaft wird im Rückblick auf ein halbes Jahrhundert Entwicklungspolitik dies als kopernikanische Wende bezeichnet.

Der Aktionshorizont dieses Montagskreises reicht weiter als das Ziel von Reformen in der politischen Exekutive. Wir haben die Pädagogik, die Hilfswerke, nicht nur der Kirchen, die Wissenschaft, die verfasste Politik vor allem parlamentarischer Ausformung und insbesondere auch die Medien im Auge.

Ich selbst erkläre mich 1970 bereit, das Ministerium zu verlassen und das Wagnis eines Aufbaus des ersten unabhängigen publizistischen Forums zur Entwicklungspolitik auf mich zu nehmen – ohne einschätzen zu können, welche Konflikte nicht zuletzt auf mich zukommen werden.

4. epd - Entwicklungspolitik oder der auf Dauer gestellte Konflikt

Angekündigt wird das geplante Diskursforum von Entwicklungshilfswerken der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ich bezeichne sie im Weiteren zusammengefasst als Kirchlichen Entwicklungsdienst, der nun die Publikation auf den Weg bringen soll. Mit dem Ministerium hat das formell nichts zu tun. Dieser Kirchliche Entwicklungsdienst sah sich in der Verpflichtung der Ziele und Beschlüsse der Ökumene. Die einen nolens, die anderen volens - man betrachtete die Forderung des Südens, einen engagierten Diskurs über die künftige Rolle der bundesdeutschen Gesellschaft im Nord – Süd - Verhältnis herbeizuführen, als Handlungsmaxime .

Die von Zielen der Ökumene wirklich inspirierten Kräfte hatten sich also naheliegenderweise im Rahmen des Kirchlichen Entwicklungsdienstes zu bewegen, das heißt im Rahmen bereits früher von der Großorganisation Kirche in gleichsam etatistischer Weise von oben etablierter Hilfswerke, die für ihre Projekte in der sog. Dritten Welt auf Spenden aus der Bevölkerung hier bei uns angewiesen sind. Solche Organisationen neigen dazu, die Herausforderungen der Entwicklungspolitik als unmittelbare Bekämpfung von Katastrophen und Notlagen in einer Art Dramatisierung verzerrt zu verengen und damit politische und strukturelle Ursachen auszublenden.

Hilfswerke haben zugleich das Interesse, auch als entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen auftreten zu können. Diese nach späterer Übung in den Vereinten Nationen gängig mit NGO bzw. im Deutschen mit NRO abgekürzte Kategorisierung von Institutionen fragt zwar nicht nach deren demokratischer Rückbindung, aber als NRO, als private Träger von Entwicklungshilfe anerkannt zu sein, eröffnet die Chance, erhebliche staatliche Unterstützung für Entwicklungsprojekte zu erhalten.

Dieser Funktion als NRO steht ein die Nützlichkeit des einzelnen Hilfswerkes übersteigendes bürgergesellschaftlich-gemeinnütziges Attribut besonders gut an, z.B. das Ziel, - auch in Diskrepanz zur Spendenmobilisierung – der Öffentlichkeit die Möglichkeit der Reflexion und Diskussion über Kampagnen und Konzepte der Entwicklungshilfe mit offenem Horizont zu offerieren. Das zu bieten traf sich praktisch mit den Erwartungen seitens des Südens, seitens der Ökumene, in Bezug auf einen Prozess der Veränderung im Norden.

Auf diesem Hintergrund muss man sich die Bedeutung des Schrittes zu einem Forumsperiodikum deutlich vor Augen halten. Der Kirchliche Entwicklungsdienst, die in ihm zusammengeschlossenen Hilfswerke erklären sich bereit, neben ihren in hoher Auflage verteilten, die Spenden- und weitgehend auch Meinungsmärkte beherrschenden Gratisblättern ein neues übergreifendes Periodikum zu dulden, ja es zu finanzieren.

Das neu gegründete Forumsblatt wird von ihnen erst einmal und dann fast für immer an eine Nachrichtenagentur angedockt, den Evangelischen Pressedienst, kurz als epd bekannt. Der bescheidene Name des neuen Periodikums lautet: epd Entwicklungspolitik.

Die rechtliche Konstruktion erweist sich, bezogen auf die intendierte inhaltliche und damit politische Unabhängigkeit dieses Blattes, als völlig unzureichend und deshalb als äußerst konfliktträchtig. Herausgeber des Diskussionsforums ist offiziell der epd, damit innerbetrieblich weisungsberechtigt gegenüber der neuen, total fremdfinanzierten und ja als völlig eigenständig gedachten Redaktion. Financier und damit in allen Entscheidungen mit Macht versehen ist der Kirchliche Entwicklungsdienst. Als Verantwortlicher und Leitender Redakteur bin ich zunächst allein, später leite ich die Redaktion mit zwei halbtags beschäftigten Kollegen.

Trotz minimaler, nicht mehr zu unterschreitenden Ausstattung der Redaktion verschafft sich das 1970 erstmals erschienene neue Periodikum in der entwicklungspolitischen Szene, aber auch darüber hinaus, rasch Gehör - durch neue, unbequeme Stimmen aus aller Welt, aus sehr kritischen Strömungen, ob aus dem Norden, Osten oder Süden. Unabhängige Autoren, fundiert durch Recherche und Wissenschaft, widersprechen vorherrschenden Interpretationsmustern in dem mit dem Begriff Entwicklungshilfe viel zu eng beschriebenen Politikfeld. Es gelingt, diesen Politikbereich in der Öffentlichkeit als eine bürgergesellschaftlich ernstzunehmende Herausforderung zu emanzipieren.

Politiker mit Sachverstand und Willen zur Wahrheit, auch bislang ausgegrenzte Wissenschaftler, ausgestiegene Entwicklungshelfer, Bürger und vor allem Betroffene im Süden werden am Diskurs beteiligt und finden Aufmerksamkeit. Der Export deutscher Waffen in Entwicklungsländer wird publik gemacht, rassistisch begründete Zwangsarbeit in Südafrika benannt, die transnationalen Konzerne werden kritisch beleuchtet, die Hilfswerke werden ebenso wie das Regierungsverhalten kritisiert. Unterdrückte Informationen und seitens der Entwicklungsbürokratie tabuisierte Problemstellungen kommen auf unseren Redaktionstisch, was mir übrigens wieder die keineswegs so angenehme Aufmerksamkeit der Geheim- und sogenannter Sicherheitsdienste inzwischen verschiedener Länder bescherte – auch der DDR, wohin wir aufgrund der internationalen kirchlichen Einbindung Kontakte haben durften. Viel Feind, viel Ehr?

Ich bediene mich ausgeblendeter Informationen aus dem Bereich der Vereinten Nationen, organisiere Dialoge und Kolloquien, Tagungen und Kongresse. Kurzum: Unser Blatt, in der Umgebung gern als Speerspitze der entwicklungspolitischen Diskussion bezeichnet, gibt intensive Impulse der öffentlichen Debatte zu Nord-Süd zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Politik und Wissenschaft, zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen.

Ich möchte hier Herrn Professor Hartmut Elsenhans vielmals danken. Er hat mit seiner großen wissenschaftlichen Leistung die Fachdiskussion in der Zeitschrift sehr bereichert, er hat ihr damit Renommee verliehen. Und er hat sich darüber hinaus mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit deutlich vernehmbar für das Periodikum, für die kreative Kontroverse eingesetzt.

Dass der Zeitschrift die vielseitige Impulsfunktion gelingt, hat auch zu tun mit einem reformwilligen Bundesministerium unter Erhard Eppler, der es von 1968-1974 leitet. Es hat zu tun mit der boomenden, fast euphorischen Aufbruchstimmung zu Nord-Süd Anfang der 70er Jahre, und zwar in weiten Kreisen der Gesellschaft – ob nun in Form von Dritte-Welt- und Solidaritätsgruppen, ob als Friedens- und später Umweltbewegung oder als hoch aktive Einzelpersonen, die unser Periodikum begleiten, es gesellschaftlich abstützen, mit ihm und vielfältig von ihm leben.

Ich nenne z.B. Erhard Meueler, einen der freien, ohne Honorar für die Redaktion engagierten Mitarbeiter, damals an der PH Göttingen, später Professor für Erwachsenenbildung in Mainz. Ohne jeden Institutsrückhalt, privat finanziert, schreibt er 1971 mit den Doppelbänden „Soziale Gerechtigkeit. Einführung in die Entwicklungsproblematik am Beispiel Brasiliens und der Bundesrepublik“ das erste Curriculum zur politischen Bildung, verkaufte Gesamtauflage 55.000. Dieses Unterrichtswerk und die mit einer Projektgruppe verfassten Doppelbände bei Rowohlt „Unterentwicklung. Wem nützt die Armut der Dritten Welt?“ gelten nicht nur als die auflagenstärksten, sondern vor allem als die didaktisch gehaltvollsten Unterrichtsmaterialien zu der sich unter großer Inanspruchnahme unserer Zeitschrift neu entwickelnden Dritte Welt-Pädagogik.

Dem Periodikum kommen in diesen Jahren zudem strukturpolitisch relevante Vorhaben zugute, die ich noch in meiner kurzen Tätigkeit im BMZ zur Veränderung der Gesellschaft aus entwicklungspolitischem Impetus auf den Weg bringen konnte: unter anderem eine große Schulbuchstudie, erstellt vom Frankfurter Institut für Sozialforschung, weitere Medienanalysen, Impulse an die Adresse der Kultusministerkonferenz, die Analyse von Lehrplänen an den Schulen und die Beförderung unabhängiger, an Zeitprobleme sich heranwagender Wissenschaft wie die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

Die Resultate erregten Aufsehen, gaben Hilfestellung bei der Informationsarbeit auch des Periodikums. Kam doch z.B. die Schulbuchstudie zu dem Ergebnis, dass keineswegs vornehmlich ein Wissensrückstand oder provinzielle Sichtweisen in den Büchern  Vor- und Fehlurteile der Schüler zum Thema Dritte Welt begründen. Nein, die Darstellung der Dritten Welt erwies sich als absichtlich unterschiedlich je nach Haupt-, Real- und Oberschule verzerrt zur schichtenspezifischen Einstimmung der Schüler auf ihre jeweilige Rolle in den ihnen zugedachten unterschiedlichen Interessenlagen der gesellschaftlichen Kräfte in ihrem Verhalten zu den Entwicklungsländern.

Nun - die Diskursfunktion auszuüben unter den geschilderten Strukturbedingungen einer dubios organisierten Trägerschaft mit ständig drohendem Wegfall der Finanzierung führt die Redaktion in immer stärkere Konflikte, ständig neu entfacht von den Spannungen aufgrund unterschiedlicher Konzepte und sich widersprechender Ziele innerhalb des Milieus Trägerkreises.

So waren die mit der Gründung des publizistischen Forums erwarteten und nun auch der Öffentlichkeit deutlichen Achtungserfolge durchaus willkommen. Konnte man sich doch damit als Nichtregierungsseite -  national wie international -  glänzend ausweisen, als NRO, selbst als Teil der Bürgergesellschaft. Dadurch ließ sich eben auch leichter in die Töpfe der zum Einsatz seitens der NRO gedachten öffentlichen Entwicklungsgelder greifen.

Aber einem gemeinnützigen Dienen dem Ganzen, wie es das Diskursforum als Voraussetzung brauchte, standen zunehmend sich überlagernde partikulare Interessen der Hilfswerke entgegen.

Bereits die Konzepts- und Inhaltsebene wird strittig. Aus Sicht kirchlicher Werke zeigt der von dem Periodikum entfaltete Diskurs einen zu weiten Horizont auf, zu differenzierte politische Vielschichtigkeit, zu viel bedenkliche Begleiterscheinungen der mit Entwicklungspolitik und dem Idealbild des karitativen Helfers vermischten Handlungsfelder.

Die mediale und politische Ausstrahlung der von der Zeitschrift entfachten Debatte passte nun auch der Amtskirche nicht mehr so recht. Zwar hatte die Spitze der Evangelischen Kirche in gut protestantischer Tradition der Würdigung der Freiheit des Wortes sogar eine Art Garantieerklärung für die Zukunft der Zeitschrift abgegeben. Sie hatte auch die Bedeutung des Blattes für das Präsentsein der Kirche in der Gesamtgesellschaft erkannt. Aber nun ging ihr die der Zeitschrift zuteil werdende Aufmerksamkeit doch zu weit.

Fazit für die Redaktion: Sie hat fast täglich um ihr Konzept, um ihre Ideen, um reale Unabhängigkeit zu ringen - Text für Text, Zeile für Zeile, Karikatur für Karikatur, auch die mögliche Schere im eigenen Kopf immer mit bedenkend.

Es kommt zu Konflikten auch auf der Organisationsebene, die sich verschärfen, weil ich mehr und mehr auf eine unabhängige Herausgeberschaft und ein entsprechendes Redaktionsstatut zu drängen habe und die relevante Öffentlichkeit bis hin zu Bundespräsidenten, insbesondere aber Wissenschaftler, interessiert an einer erfolgreichen Forumsfunktion, mit einer stattlichen Anzahl von Aufrufen immer wieder an die ursprünglich gezeigte Bereitschaft der Hilfswerke appelliert, einen unabhängigen Diskurs als Anschub zu inszenieren und zu finanzieren. Ich erwähne nur den Brief des Vorsitzenden der größten Einzelgewerkschaft der Welt an die Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das, nein das hatte es noch nie gegeben.

Ich konnte hinsichtlich meines institutionell-strategischen Bemühens auch auf parallele Bestrebungen im internationalen Bereich verweisen. Debattierte man doch in den Vereinten Nationen um eine Neue Internationale Informationsordnung zugunsten der Entwicklungsländer – ein brisantes Thema, das die USA mit einem Austritt aus der UNESCO und gar der UNO drohen ließ.

Da keine Bereitschaft seitens des Kirchlichen Entwicklungsdienstes besteht, begangene Fehler auf der Inhalts- und der Organisationsseite einzugestehen und die Mängel zu beheben, entstehen massive Konflikte auch auf der Beziehungsebene. Der machtbesessene Gegner erfand eine wahre Fülle grotesker Zugriffe, die uns der materiellen Mittel, der funktionalen Stellung, des intellektuellen Potentials, der kreativen Entfaltungsmöglichkeiten und  gesellschaftlichen Akzeptanz berauben und mich in die Wüste schicken sollten.

Der Diskursaufgabe unbeirrt weiter gerecht zu werden, erweist sich also als äußerst Kräfte zehrende Gratwanderung, die mich und meine Familie auch existentiell immer wieder zutiefst gefährdete und bei der ich ohne den großartigen, ganz außergewöhnlichen Rückhalt seitens meiner Frau sicherlich abgestürzt wäre.

Viel zu spät wird deutlich, dass auch all die ehrlich Engagierten bei der anfänglichen Begründung des Periodikums der eigentlich auf der Hand liegenden Notwendigkeit nicht nachgekommen waren, nämlich die der Sicherung der Zeitschrift in ihrer heiklen Aufgabenstellung. Dazu hätten von Anfang an gehören müssen eine ausreichende materielle und damit auch personelle Ausstattung des Periodikums, eine stabile Zusage der Finanzierung, eine durch ein Redaktionsstatut verlässlich geregelte Unabhängigkeit und ein politisch so breiter Herausgeberkreis, dass er schon deshalb die Öffentlichkeit von der Ernsthaftigkeit des Forumsziels überzeugt und entsprechend mehr Wirkkraft zeitigt.

Dabei hätte eine aufgabengerechte Etablierung eines Forums nicht trefflicher bereits zu Beginn konzipiert werden können. Hatten doch die wirklich motivierten Fürsprecher der damaligen Initiative die aus der Ökumene übermittelte Einsicht, einer bürgergesellschaftlichen Verantwortung Ausdruck geben zu sollen. Betont haben sie deshalb bescheiden den stellvertretenden, den Impuls gebenden, den Signal setzenden Charakter ihres Projektes. Ihr Vorhaben sollte nur Nukleus sein für eine noch zu schaffende, genügend breite Trägerschaft seitens nichtstaatlicher, ja eben bürgergesellschaftlicher Kräfte.

Die Chance, einen ausreichend potenten, überzeugend breit getragenen Herausgeberkreis zu bilden, hat es in all den folgenden Jahren immer wieder gegeben - schon als Ausdruck des Interesses der Gesellschaft an der erfolgreichen Diskursinszenierung der Redaktion, aber auch dank meiner eigenständigen Sondierungen, notwendigerweise eigenwillig, da seitens der Hierarchie mir untersagt.

Selbst der säkulare Bereich bis hin zu Wirtschaft und Gewerkschaften zeigte Interesse, einen festen Diskurs zu Nord-Süd mitzuverantworten. Immer wieder abgelehnt – auch die Möglichkeiten, die sich aus der Gründung des Dach-Verbandes entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) ergaben, einfach abgedreht.

Nach jahrelangem Kampf gelingt es mir zu Anfang des neuen Jahrhunderts dennoch, die Zeitschrift aus der Nachrichtenagentur herauszulösen und einen neuen, erweiterten Herausgeberkreis, einen echten e.V,. zu schaffen für die jetzt  umbenannte „Zeitschrift Entwicklungspolitik“ – eine Gruppe, in der neben den bisher beteiligten protestantischen NRO´s nun auch die katholische Seite in Deutschland sowie Einrichtungen beider Kirchen in der Schweiz mitwirken – mit Österreich am Rande. Eine wirkliche, bahnbrechende Öffnung gegenüber dem säkularen Raum bleibt aber abgelehnt.

Dieser Erfolg fällt zurück - hinter den ursprünglich bürgergesellschaftlichen Anspruch und hinter das bei gutem Willen der Nichtregierungsorganisationen Machbare, also jener, die so gerne Zivilgesellschaft spielen wollen.

Vor wenigen Wochen ist das von mir heute thematisierte, seit 2006 nicht mehr  von mir geleitete publizistische Forum nach erneutem Titelwechsel mit einer der evangelischen Entwicklungshilfe gewidmeten Quartalsschrift mit dem Namen „der überblick“, fusioniert worden. „Welt - -Sichten“ ist die neue Bezeichnung.

Kein Kommentar dazu – aber einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 02.01.08. will ich Ihnen nicht vorenthalten. Er wird dominiert von einem Foto einer Spendenbüchse von Brot für die Welt, das Flaggschiff protestantischer Hilfswerke. Diese Spendenorganisation ist Mitglied des von mir geschaffenen Herausgebervereins, und ist, was das Finanzielle, nicht das Sagen, angeht, an diesem Verein sehr gering beteiligt. Die Bildunterschrift lautet:

„Die Organisation Brot für die Welt trägt zwar die finanzielle Hauptlast der neuen Zeitschrift, doch als Herausgeber fungiert ein Verein“.

„Wahrheitssuche mit Herz“ erkennt der Autor des Artikels in dieser Verdrehung der finanziellen Beteiligung und gleichzeitigen Verachtung der Herausgeberstruktur. Karl Marx hätte anders kommentiert. Etwa mit seinem Ausspruch: „Die Idee blamierte sich immer, wenn sie von dem Interesse verschieden war.“

5. Was bleibt an Erkenntnis und Aufgabe?

Der entwicklungspolitische Diskurs darf nicht Spielball einzelner Interessen sein, sondern muss ihr Spielfeld werden. Dieses öffentliche Miteinander-Ringen braucht zu seiner Lebendigkeit klare Regeln. Die Sicherung der Unabhängigkeit steht dabei an erster Stelle. Nur dann kann ein Diskurs seine kritische, seine primär gesamtgesellschaftliche Funktion mit Kreativität erfüllen.

Unter diesen Bedingungen können und dürfen dann auch die einzelnen strategischen Eigeninteressen der Entwicklungsagenturen zum Zuge kommen. Aber ließe sich damit nicht auch der Perversion humanitärer Aktionen ein Riegel vorschieben?

Wie notwendig dies ist, hat kürzlich der Fall der Entführung von Kindern aus afrikanischen Familien gezeigt, um sie in Frankreich als Waisenkinder karitativer Vermarktung zuzuführen. Ein Einzelfall sagen Sie? Er deutet auf ein Stück subtiler Normalität, die nach Enthüllung aus diskursiver Absicht schreit.

Dem von mir in dem publizistischen Forum strittig diskutierten Themenspektrum kommt große Bedeutung zu - für die Zukunft unserer Gesellschaft in ihrer globalen Verstrickung wie auch ihrer damit verbundenen Verantwortung. Dieser Stellenwert rechtfertigt und erfordert deshalb meines Erachtens eine große institutionelle Lösung der Forumsfunktion. Die Sicherung der materiellen wie politisch-inhaltlichen Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit muss absoluten Vorrang erhalten, in etwa vergleichbar mit dem Status der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten – mit dem Unterschied, dass hier die Bürgergesellschaft ihre besondere Qualität beweisen sollte.

Das heute von mir beleuchtete Informations- und Diskussionsmedium ist in Bezug auf die ursprünglich in Aussicht gestellte stabile bürgergesellschaftliche Verortung nach wie vor Torso geblieben ist. Doch das Ringen, das Streiten um das Medium, der Diskurs über einen globalen Fragen gerecht werdenden Diskurs hat ein Stück Weg und Wahrheit gewiesen, auch wenn die Entwicklungsagenturen es längst vorgezogen haben, von einem höchst problematischen Filz mit den Großmedien zu profitieren, der alles andere als der Aufklärung dient.

Was die Zukunft der aus der Ökumene, aus dem Süden uns mit Vehemenz übermittelten Idee eines gesellschaftlichen Diskurses zu Frieden, Gerechtigkeit und Erhaltung der Schöpfung angeht, so möchte ich erneut Erhard Eppler zitieren:

„Entwicklungspolitik braucht weit entfernt von dem, was man von einer Bürokratie erwartet, bürgergesellschaftliches Engagement, Menschen, die etwas bewegen wollen, kreative Köpfe“ im freiheitlichen Ringen um richtiges politisches Handeln.

Wir sind, um die mir eingangs selbst gestellte Frage resümierend zu beantworten, wir sind in der Aufgabe der Entfaltung eines von Interessen einzelner Institutionen unabhängigen, bürgergesellschaftlich bestimmten Diskurses zu Fragen der Entwicklungspolitik noch nicht im 21.Jahrhundert angemessen angekommen. Die Bürgergesellschaft ist zu schwach organisiert, die störende Mogelpackung „Zivilgesellschaft“ erfreut sich zu Unrecht der Bevorzugung.

Diese Art von Defizit ist kein Zufall, sondern markiert eine bedenkliche Strukturschwäche unserer Entwicklungspolitik wie auch unserer Demokratie. Sie nicht nur wissenschaftlich aufzuzeigen, sondern sie in Stärke wenden zu wollen, sollte uns verbinden. Dazu sind wir hier alle eingeladen.

6. Ich schließe mit der Geschichte von den drei Raben:

Sitzen drei Raben zusammen, sagt der erste:
"Ich wünschte, ich wäre zwei Raben...!"
"Wieso denn das ?"
"Dann könnte ich hinter mir her fliegen..."
Sagt der zweite:
"Ich wünschte, ich wäre drei Raben, dann könnte ich sehen,
wie ich hinter mir her fliege..."

Der eine Rabe, das ist mein Ich-Ideal von einem unabhängigen und kritischen entwicklungspolitischen Publizisten. Fünfunddreißig Jahre lang bin ich --- zwei Raben zugleich --- durch alle nur denkbaren Widrigkeiten diesem ersten Raben hinterher gejagt. Dies auch noch beobachten und reflektieren zu können, also drei Raben zugleich zu sein, dazu haben Sie mir heute Gelegenheit geboten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Das PDF-Dokument der Leipziger Universitätsreden, Neue Folge Heft 107, Reden zur Ehrenpromotion Kai Friedrich Schade, vom 30. Januar 2008, ist unter:

http://www.zv.uni-leipzig.de/service/publikationen-informationsmaterial/universitaetsreden.html

verlinkt und mit dem Direktlink:

http://www.uni-leipzig.de/pdf/unireden/Heft_107.pdf

auf-/abrufbar.